Else Fett wird 90
Kapitel aus dem Roman: Lipschitzky kommt
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Der olle Wackelarsch, denkt sicher, sie is wat bessret, weil se in Wilmersdorf häuselt. Schwere Anrichte. Kronleuchter. Orientteppich. Aber denkste, Wackelarsch. Unter Petrus Jießkanne sind wa alle jleich. Man wird uff de Erde jeworfen, vorher in eene Bettkiste produziert. Darf bißcken rumhoppeln, um dann wieder ina Holzkiste zu verschwinden. Dit is der Welten Lauf. Rin Raus. Raus Rin. Klappe zu. Affe tot.
Kriegerwitwe Fett. So ihr Name. Else Fett feiert heut ihren neunzigsten Jeburtstach und ick steh in ihrem Schlafzimmer. Bezaubernde Flakons stehn da uffm Schminktisch in Zinnsoldatenmanier uffpositioniert. Ick hätt mich beinah besprüht. Ick zuppel mir den zu engen, hervorragend jekürschnerten Nerzfummel aus meinem Spiegelbild vor dem Zentnervieh von Schrank. Die Zeit drängt und die Satzgirlanden in der juten Stube werden grobmaschiger jehäkelt. Ick spür, ick muss wieder untert Volk. Ick kieck uff den Nerz und lausch nach ner Izze. Wie soll ick den Nerz unjesehen aus der Wohnung katapultieren? Da kommt mir die Idee mit dem Klohoffenster und ick lass den Nerz uff die Tonnen fliegen. Bell Etage Flug. Bernsteinkette und weiße Perlenkette jehn in Richtung Tabakbeutel. Der Herr jibts. Und ick nehms. So looft der Hase. Schnell Hemd befeuchtet, wo der Kuchen einschlug.
Ick betreht das feierliche Zimmer mit Hakenschlach (Alte Schule) und trompete: „Da is er wieder, ihr jeliebter Herr Bürgermeester. Vom Stuhljang zurück. Scherz beiseite jewischt. Alle Flecken beseitigt. Jetzt hab ick wieder ne reine Weste. (Fröhlichet Jegluckse) Mann von Welt machts heut selbst. (Zwee Kickser) Ooch um die Kosten zu senken. (Erster echter Applaus) Wunderschöne Fliesen ham Se da verbaut in Ihrem Abort. Een Hoch die Tassen. Uff unsere Else Fett. Uff die Neunzich Lenzen die se uns een vorjeturnt haben. Wie sachte unser jeliebter Turnvater Jahn: Ein kernfester Leib ist notwendig zum Ringen mit dem kernfaulen Zeitalter. Und ist das nicht unsere Lebensringerin. Seelensorgenbezwingerin. Unsere Else Fett.“ Der kuchenmüde Haufen klatscht adrett hinter mir her. Else Fett grinst fein unter ihrem mit rotem Lippenfett übermalten Mündchen. Ne Träne nimmt die Fettschanze zum Sprung. Ick hab se uffjerührt. Ratz fatz.
„Herr Bürgermeester, Sie können mir meenen Hut nu wiederjeben.“ Und die Hühner uff der roten Biedermeiersofa-Stange gurren sich einen. Ick befass meen Kopp und tatsächlich hab ick den feinen Wildlederhut mit Fasanenjebimsel nich in den Hinterhof jeschmissen. Also mach ick jetzt auf Suppenclown und wedel mit dem Hut und kann mit einem jezielten Wurf ihn auf den Zweiender ablenken, und treff und ein Raunen befüllt mich.
„Der Hut, Se müssen mir verzeihen, war mit eener Fraje verknüpft: Und hätt ick ihn nicht jetragen, so hätt ick die Fraje vajessen: Joldfasan?“ „Aber so wat von“, chort der mit Joldfasan bestückte Hühnerhaufen uff de Stange. Denn alle ham noch ihren Kaffeewärmer uffn Kopp. Und jeder Koppwärmer is mit Joldfasan bestückt. Oh ha, dit hatt ick vorher nicht so zur Kenntnis jenommen. Meen Blick rutscht tiefer uff ihre am Hals funkelnden Jeschmeide. Da kommt mir der Jedanke, bevor ick scheide, muss ick mir noch die Mantelinnentaschen an der Flurjarderobe besehen.
Else Fett wird heut 90. Woher ick dit weeß? Na inne Zeitung stehts. Schwarz uff weiß. Nur een früher Vogel fängt den Wurm. Suchste ne Wohnung? Na dann studier ma die Traueranzeigen und dit Nachjeunke in deine Tageszeitung, und lass dich ma mehr uffn Friedhof sehen. Bei Beerdjungen kriegste so einjes mit. Manchmal ooch ne warme Suppe und paar belegte Brote. Wenn keener mehr weeß, wer eigentlich dazu jehört. Keine uffdringlichen Fragen, von welcher buckligen Verwandtschaft man abstammt, wenn man sich unter die Trauerjäste mischpokert. Schmöker mal den Lokalteil, denn weeßte ooch, wer überfahren wurde. Stell dich ruhich mal bei de Notuffnahme hin und kiek da ma da die Scheintoten an, die se bringen, und mach da ma een Bild. Und frach nach dem Namen: „Is dit nich meen neuer Nachbar, der Herr… der Herr liecht mir uff der Zunge?“ Und dabei die junge Hilfsnotarzt-Assistentin fixieren mit dem Satz: „Nicht vorsagen, ick habs gleich!“ Und da die als Mädchen immer mit dem anerzogenem Helfersyndrom überversorgt wurde, platzt et aus ihr heraus: „Er sieht nur etwas entstellt aus, Ihr Herr Bär…“ Und da müssen Se sofort sich rinhaken: „Und, wird er es schaffen? Sieht nicht jut aus.“ Bingo.
Jut, die Traueranzeigen studieren, dit kann ja jeder Student, und machen ja ooch welche, um an ne billje Butze ranzukommen. Oder Möbels abzustauben. Ick sach nur, Holzooje sei wachsam. Schleppt sich een Beerdjungstöftöf durch die Straße, denn nichts wie hin da und Beileidsbekundungen abjeben. Links rechts kondoliert. Schnell den Namen uffschnappen und sich einjebracht: „Sie war doch so ne Jute, die Elfriede.“ „Wat wolln Sie denn hier?“ „Ick? Ick bin doch der Sohn von meenem Vater und die waren damals, ach Mensch is det lange her, und die waren doch zusammen uff der Schule!“ „Et is aber keene Sie verstorben, sondern Herr Belinek. Sie müssen sich irren.“ Wieder dazu jelernt: besser keene Namen.
Die andere Richtung ist die Jeburtstachsankündjung der schwer Betagten in der Zeitung. Die glatten 80er und runden 90er sind meen Hauptarbeitsfeld. Die runden Hochzeitstage. Die Joldnen. Die Eisernen. Sehr schön: Die Diamantnen. Lesen und sich vormerken. Ick hab ja Zeit. Fast chronisch Zeit. Joldne mag ick nich so, da sind ma die beeden Beteiligten zu helle. Männers nerven in der Regel total und es wird schlimmer im Alter. Schlaumeiern immer so rum. Jockeln sich eenen. Diese manischen Monologisierer. Lamentiernde Palavertaschen.
Nu passen Se uff, ick sachs nur eenmal. Also meen Trick is: Ick mach een uff Charmebolzen von Bürgermeistervertreter, um den alten Schachteln zu gratulieren, die Hand uffzuschütteln im Namen aller Berliner, und denn noch die Hände der Jäste, selbstverständlich. Dit kann dauern. Viele weitere Knochenharken oder schwammige aufgedunsene kaltmarkige Fleischershände von die weiß, rosa und lila Belockten drücken und tätscheln. „Mir ne Ehre, sehr erfreut, Sie schon wieder, Sie waren doch schon beim letzten 90sten, hier um die Ecke, haha. Sie lassen aber ooch keene Party aus.“ Den taufrischen Blumenstrauß ausm Rücken zaubern, in joldner Morgenstund vom Städtischen besorgt, und denn Sachatorte schaufeln bis zum Jaumenzippel hoch. Vorher natürlich noch in die Ahs und Ohs aalen von de janzen Mannschaft und Jacke uffn Büjel hängen lassen. So looft der Hase.
Die Männchen-Weibchen-Verteilung liecht bei son runden hohen Jeburtstach wie von Else Fett so bei 99 Prozent Frauen und 1 Prozent Männers. Und da meistens bei soner Altenzusammenkunft so siebn bis zehn alte Schrumpels zusammenkommen, is rein rechnerisch bei jedem dritten hohen Jeburtstach een Hahn im Korb möglich.
Een Vorjang is bemerkenswert, und seine Chance und die Zahlen stehen genau konträr zur anderen Statistik. In neun von zehn Fällen bin ick vorne ana Tür noch der Vertreter des Bürgermeesters, so hab ick mich ja ooch immer vorjestellt. Im Flur bin ick schon seine linke Hand, und ina juten Stube bin ick dann der Bürgermeester höchst persönlich. So schnell kann dit jehn ina Lokalpolitik, wenn die meisten taub und juten Willens sind. Und een Punkt is janz wichtig: Et macht sich ja tiefenpsychologisch keener mehr een Kopp heutzutage, außer icke vielleicht. Der Punkt is ja der: Wenn de erzählst, der Bürgermeester is zu meenem Ehrentach jekommen, denn biste ja im Ansehen ooch jleich een Treppchen höher und wirst umjarnt. Die wollen sich alle ne Scheibe abschneiden und ooch mal mit im Lichtstrahl stehen. Da wird denn jequatscht und so: „Unter der Hand hatta et ja zujejeben, dat et nich mehr für alle reicht, aber für uns würde et noch reichen, außerdem sind wa ja noch aus alten Schrot und Korn, uns schmeißt so schnell nix um, Inflation, Währungskrise, globale Erwärmung, Bankenkrise, Dieselskandal.“ „Wissen Se, is schon jut, dat wa den haben.“ „Sieht jarnich so aus, wie se immer sajen.“ „Ick hab mir den janz anders vorjestellt, so mehr sowie se ihn im Fernsehen zeigen, so echter.“ „Soll ja ooch nich mehr schwulstig sein, seitdem er den Flughafen leitet.“ „Ach der Herr ist ooch der Flugkapitän… flott flott.“ „Frau Anstett, noch n Tässchen?“ „Macht ein janz vernünftjen Eindruck, der Herr Bürgermeister, aber wie der Torte essen kann, ham se et jesehen, sieben Stück, nich dat ick nachzählen würde, sieben Stück Sachatorte hat er buchstäblich verschlungen, Frau Diebel, hat ma da Töne.“ „Ja, dit nennt man jesegneten Appetit. Mein Sohn hatte ooch immer son Appetit.“ „Aber haben Se vernommen, wie der Bürgermeester, ich stand ja direktemang zu seiner Rechten, sachte: Die Sache is ja verpufft, wien Furz uff der Hopperennbahn?“
Der Toilettenjang-Trick zum Zimmer-Check is ja die übelste und einfachste Trickkiste. Wie jezeicht: Kuchen uffs Hemd purzeln lassen und denn: Der Mutige weitet den obligatorischen Wasserlassgang zum kleenen Rundjang aus. Man kennt ja nich die kompletten Bejebenheiten, und so stöbert man flink unter Koppkissen, in den Porzellanschüben in der Küche. Unbedingt unterm Pfeffer nachkieken. Pfeffer ist der Vater der Jewürze, aus Verstecker-Sicht. Zu 99 Prozent ist dit Jeld unterm Pfeffer. Mit der Logik: Dieb findet Geld unter Pfeffer und muss niesen, wird überführt. Hängt im großen Berliner Zimmer neben dem Sekretär Der Mann mit dem Goldhelm, dann bitte einmal abhängen und umdrehen, dahinter klemmt ein Umschlag mit Barem. Greift eenmal entschieden ins Spülbeckenwasserreservoir, gleitet eenmal unter der jebüjelten Wäsche entlang, und beschaut euch könnerhaft die Längen von den Schubläden. Is die Staatskasse jefunden, oder ein ausreichend erscheinender Anteil der Pinunse aus dem Nichts aufjetaucht, somit meene Aufwandsentschädjung für die mitgebrachte Zeit, und meene Entfernungspauschale gleich wieder abjejolten, könnte in Erwägung jezojen werden, den Rückzug zu gestalten. Et jibt vor allem bei den Herren noch die sinnbildliche Umsetzung des Sparstrumpfes. Nicht immer jeruchsneutral. Die Inkasso-Methoden sind in diesem beträchtlich hohen Alter meiner Klienten vonnöten, da se sonst noch vor Rechnungsstellung ins Gras beißen könnten, mir sprichwörtlich von de Schippe hopsen.
A und O des janzen Unterfangens: Pünktlichkeit. Pünktlichkeit is dit einzich wahre Rezept. Ick komm immer pünktlich, damit ick vor dem echten Volksvertreter mich jut präsentieren kann und meen juter von mir errungener Eindruck sich verfestjen kann, bevor der „Richtige“ einschwebt. Und jutet Timing ist vonnöten. Es empfiehlt sich, weg zu sein, bevor der „Echte“ kommt, damit keene allzu große Verwirrung stattfindet. Besser noch, man erzählt von Nachahmern: Achten Se uff vermeintliche Kleinigkeiten, die kleene SPD-Nadel ant Revers. Links von ihm aus. Se müssen jenau hinkieken. Vor der Tür lassen Se een schwarzet Auto mit Staatskarossen-Format parken, manchmal dreist mit zwei kleinen Deutschland-Wimpeln an den Kotflügeln, kommen übertrieben beschwingt mit einem übergroßen Strauß in Cellophan verwickelt die Treppen hochjeschossen, mindestens drei Männer, zwei Personenschützer und der vermeintliche Meester und erzählen einem das Blaue vom Himmel. – Schönen juten Tach. Ick bin der Bürgermeester von Berlin und gratuliere im Namen aller Berliner zu Ihrem neunzigsten Ehrentach… Bla Bla Täräterä terätata.
Damit hatte ick meene Kundschaft in der Regel an ihren Wadenwickeln und Stützstrümpfen jepackt und dingfest jemacht.
Eenmal wollt sich son Opa uffpupen, dachte, er wär hier der Platzhirsch. „Sie sind nich unser Bürgermeister, Sie sind ein Scharlatan!“ Da musste ick härtere Bandagen anlegen. Ick drehte sein Hörjerät uff Maxi und flüsterte, während ick für die anderen Mundoffenen weltmännisch grinste: „Also hör jut zu, Opa, mach hier nich son Staatratsvorsitzendern. Ick kann jerne den Schlauch ziehn zu deinem Außenbassin, zum Pinkelbeutel, oder willste noch bisschen bei den Mädels sitzen? Also, wer bin ick?“ „Der Bürjermeester,“ winselte er. „Aber jenau.“ War janz dit Lämmchen den Rest meiner Besuchszeit. Nur jut, dat ick den Beutel unterm seinem Schlappajackett hab raushängen sehn.
Ick bin nur ne kleene Leuchte, aba ick leuchte, bis die Scham mich in die Nacht entlässt, um ein wenig zu funkeln. Ick will meene schauspielerische Lust am Leuchten nicht untern Scheffel stellen in Paarung mit meener Erfahrung und Menschenkenntnis.
Mit dem Nerz von den Tonnen unterm Arm, perlenbekettet und tortenschwanger schlendere ick durch die Toreinfahrt, und meene Lippen lassen den Satz detonieren im Widerhall des Jemäuers: „Reich is nur der, der weeß, mit wie wenich er auskommt. Auskommen könnte.“ Uff des Bürgers-Stiege einjeschwenkt, bremst sich ein schwarzet langet Auto vor der Türe aus und heraus springt, dynamisch mit Blumenstrauß bewaffnet, een Mann in schniekem Uffzuch. In seinen Rücken werf ick: „Schönen juten Tach, der Herr Bürgermeister … ick hab Se schon anjekündicht.“ So looft der Hase.