Aus Jeegermeester
Aus „So war ick. Meine Wanderung durch Mark und Bein – Meine Kindheitserinnerungen Teil 1, 1968–1989“
In Planung – Sponsoring möglich
Icke war Zehne, et war Zwölfe, so die Kuckucksuhr richtig ging, die so lustich mithopste in meenem Zahlenspiel, und ich war immer noch wild am Couchbespringen.
Als sich die erste Feder von der Knautsche zeigte, kiekte Mariechen bissicken schief Richtung Gatte, aber der Alte lüftete in Seelenruhe, wie schon so einige Male, seinen jelösten Deckel vom Bier und nippte. „Spring doch uff de Kissen, Jung!“ Also klaubte ick mir alle handjeschlagenen Büjelfaltenkissen zusammen, verschiedenster Couleur, und ballerte meen Körper von de Knautsch aus rin.
Mein Herr Vater ballerte, versucht unbemerkt, ebenso beständig, sprachrohrte er uff mich ein: „Nu is aba Schluss. Jetzt reiß da am Riemen, bist meen Sarchnagel. Wir sind doch nich bei den Hottentotten, Schluss jetzt. Räum dit jetzt zusammen. Kannst du nich hören.“
Aber et reichte een Abwink vom Hausherrn, een obergäriget, weichet, zischelndet „Nu lassense doch den Jungen, der will doch ooch sein Spaß haben“, vom Oberoberoberplatzhirsch im eigenen Revier, und meen Vater durfte, symbolisch jesehen, uff der linke Seite liegen – weil die rechte Hand war ja durch den Jachthund belecht –, um sich vom Jeegermeester den Kopf tätscheln und die Blutwürschte von den Händen küssen zu lassen. Und meen Herr Vater bellte mich mit den Oogen an, wie ick so weiter mit meinen Bimmeleien im Kopp durch die Räume kasperte. Dit waren meene schönsten Stunden, der große Herr Gott Vater mundtot jemacht, een fast platzendet Paket. So janz ohne Hausmacht jab er eenen erbärmlichen Garderobenständer ab.
Ick rannte, hopste, kajohlte und kabolste durch die jute Stube, bis ick aus Versehn in den Bauch vom Jeegermeester rammte. „Wat hastn da drin?“, traute ick mich. Muttern schaffte nur een „Biste denn…“, und denn antwortete schon die jut jeschmierte Basssaite vom Jeegermeester: „Da drin?!“ Und er tuppte nochmal mit´n Finger ruff, um janz sicher zu jehen, dass ick seinen Felsvorsprung meinte. Und ick nickte. „Da drin sind janz viele Blutwurschtträume mit Sauerkrautlametta und eene Etage tiefer arbeiten 200 Beschäftigte in der kleensten Minibrauerei Brandenburchs. Is dit nich wat.“ Und er streichelt seine Bauchburg, seinen Bauchberg.
„Erzähl doch dem Jungen nich so´n Stuss“, intervenierte Mariechen. Da sachte der Berg zu mir: „Willste ma anfassen und rinhören, wie da malocht wird in meener Räuberhöhle, willste?“ Und irgendwie hatte er mich schon gepackt und mich so halb um sein Abhang jeschnallt, da donnerte een finalet Kreschendo aus seiner Darmbüchse, dass der Kronleuchter ins Schwanken kam, meener Oma sofort die Brillenjläser beschlugen und im nächsten Dorf die Salontür von de Kneipe nachwippte. So einen Hammer von Schuss, damit hättste 20 Rehe in Reihe jestellt durchjeschossen. Die Bierkrugsammlung uffn Gardinensims hat in echt gewackelt und die Gardine wehte immer noch.
Zumindest hatta alle Anwesenden schwer beeindruckt. Opa kiekte bissicken neidvoll. Er dachte, er spiele in der Oberliga, er könne Tschaikowskys 1812 echte Kanonenschüsse als gut punktierte Darmsalve rausdonnern.
Und bevor sich der Geruch einstellte, frachte der donnernde Berg mich: „Weeßte, wat dit war?“
„Een Furz, aber sowat von“, beeilte ick mich.
„Nee, Jungchen, nu ham die ina Brauerei Feierabend, dit war die Feierabendtröte.“ Und denn fing der Berg an sich zu bewegen und eine Lachsalve laverte aus dem Förschter, und Freudetränen zerplatzten uff dem Berg, so dass Mariechen kopfschüttelnd, den Stullenrumreichdienst einstellte, die Damen unserer Familie in Hektik wie die Hühner uff irgendeine Nichtigkeit von Thema einpickten, aber die anderen Herren von Rosettenträgern neidvoll uff die Oberröhre blickten, der da in seinem Sessel bebte. Während ick so narkotisiert, weil ick war ja wie der Hund am dichtesten betroffen – mitten im Epiezentrum –, stehenden Fußes fast einschlief, musste ick mich an den Berg lehnen vor Heimelichkeit.
Ihr macht Euch keine Vorstellung, wie et is am Fuße eines Berges stehenden Fußes einzuschlafen. Et war märchenhaft schön.
Dem Berg wurde et ooch heimelich.
Na jedenfalls, et jibt noch eene Photographie davon. Meene Tante hatte een Ooge jehabt für bleibende Momente, die sie uff Silberpapier festzuhalten befähigt war. Eene Wahnsinns-Photographie. Da lag ick, wie so´ne Nackenkissenwurscht, und pfiff unter Karl Stolzenburgs Berg. Er selbst in seinem Sessel, Kopp hintenüber, schießt gerade Schnarchluft aus den Tiefen seines Körpers, der Hund wärmend ihm zu Füßen, schnarchend. Sein Jagdgewehr, mit dem er beim Kuchenjelage das Fasanenschießen demonstriert hatte, lag zusammen mit seinen Pranken uff mir druff. Die Büchse war scharf und keener traute sich in unsere Nähe, geschweige denn uns zu wecken und meene Familie musste sich in der Zeit, in erbärmlicher Kälte, von Mariechen den Hof zeigen lassen, während ick einen meiner wohl behütetsten Nachmittagsschläfchen meines Lebens schläferte…